Insolvenzrecht - teilweise erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens wegen Verstoßes gegen das Willkürverbot

Insolvenzrecht – teilweise erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens wegen Verstoßes gegen das Willkürverbot

 

Die vom Bundesverfassungsgericht zu entscheidende Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Über das Vermögen der Beschwerdeführerin wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 20. August 2020 wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Eröffnung erfolgte aufgrund von drei Gläubigeranträgen. Die Gläubiger hatten jeweils eine durch Vollstreckungsbescheid titulierte Forderung gegen die Beschwerdeführerin angeführt und die entsprechenden Vollstreckungsbescheide vorgelegt. Der Eröffnungsbeschluss enthielt keine nähere Begründung, insbesondere keine Ausführungen zum Einwand der Beschwerdeführerin, dass die Insolvenzanträge unzulässig seien.

Die Beschwerdeführerin legte gegen den Eröffnungsbeschluss sofortige Beschwerde zum Insolvenzgericht ein. Sie führte hierzu im weiteren Verlauf unter anderem aus, dass die vorliegenden Insolvenzanträge unzulässig seien, da das Bestehen einer Forderung des jeweiligen Gläubigers nicht glaubhaft gemacht worden sei. Die zur Glaubhaftmachung vorgelegten Vollstreckungsbescheide seien rechtswidrig und nicht rechtskräftig. Die Vorlage eines nicht rechtskräftigen Vollstreckungsbescheids genüge zur Glaubhaftmachung einer Forderung nicht. Hinsichtlich eines weiteren Vollstreckungsbescheids, der gegen eine andere Gesellschaft über die gleiche Forderung erwirkt worden sei, sei bei gleicher Sachlage die Zwangsvollstreckung aus dem Vollstreckungsbescheid durch Beschluss des hanseatischen Oberlandesgerichts mittlerweile eingestellt worden.

Aus den Gründen dieses Beschlusses sei zu erzählen, dass die Titel zu Unrecht vollstreckbar gewesen seien. Das Insolvenzgericht Amtsgericht Hamburg half der sofortigen Beschwerde nicht ab. Auch das Landgericht Hamburg wies die sofortige Beschwerde zurück. Im Rahmen einer Beschwerdeentscheidung gegen den Beschluss über die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens sei maßgeblich, ob im Zeitpunkt der Eröffnungsentscheidung ein Insolvenzgrund gemäß § 16 InsO vorgelegen habe.

Das Amtsgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens beide Eröffnungsgründe, nämlich Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung der Beschwerdeführerin, vorgelegen hätten. Dies gelte auch dann, wenn man Verbindlichkeiten, hinsichtlich derer die Zwangsvollstreckung aus den Vollstreckungsbescheiden einstweilen eingestellt worden sei, nicht berücksichtigen würde.

Dagegen erhob die Beschwerdeführerin Anhörungsrüge nach § 321 a ZPO, die durch das Landgericht Hamburg auch als unbegründet zurückgewiesen wurde.

Aufgrund dessen wendet sich die Beschwerdeführerin nun mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts Hamburg sowie gegen die Beschlüsse des Landgerichts Hamburg.

Sie rügt die Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG durch die beiden Beschlüsse des Amtsgerichts Hamburg sowie durch die beiden Beschlüsse des Landgerichts Hamburg. Bei verständiger Würdigung der Entscheidungen könne nur davon ausgegangen werden, dass die Gerichte den Vortrag der Beschwerdeführerin über das Nichtbestehen der titulierten Forderungen und über die Art und Weise des Zustandekommens der Vollstreckungsbescheide jeweils gar nicht zur Kenntnis genommen hätten.

Weiter rügt sie die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG in Form des Willkürverbots durch die beiden Beschlüsse des Landgerichts Hamburg. Den Beschluss über die Anhörungsrüge geäußerte tragende Erwägung des Landgerichts, wonach es im Beschwerdeverfahren gegen einen Eröffnungsbeschluss nicht mehr auf die Zulässigkeit des Insolvenzantrags, sondern nur noch auf seine Begründetheit ankomme, sei unter keinem denkbaren rechtlichen Aspekt vertretbar, sondern willkürlich.

Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass die Verfassungsbeschwerde zulässig und offensichtlich begründet ist. So verletzte der Beschluss des Landgerichts Hamburg vom Dezember 2020 das Grundrecht der Beschwerdeführerin aus Art. 3 Abs. 1 (in der Ausprägung als Willkürverbot) i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG.

Demnach verstößt ein Richterspruch nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dann gegen den allgemeinen Gleichheitssatz in seiner Ausprägung als Verbot objektiver Willkür, wenn er unter keinem denkbaren rechtlichen Aspekt vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Das ist anhand objektiver Kriterien festzustellen. Schuldhaftes Handeln des Richters ist nicht erforderlich. Fehlerhafte Rechtsanwendung allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht objektiv willkürlich. Schlechterdings unhaltbar ist eine fachgerichtliche Entscheidung vielmehr erst dann, wenn es eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt, der Inhalt einer Norm in krasser Weise missverstanden oder sonst in nicht mehr nachvollziehbarer Weise angewendet wird, die Rechtslage als in krasser Weise verkannt wird.

So lag der Fall hier.

Voraussetzung für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ist ein Insolvenzantrag, der zulässig und begründet sein muss. Stellt ein Gläubiger den Insolvenzantrag, setzt die Zulässigkeit desselben gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 InsO voraus, dass der Gläubiger ein rechtliches Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat und seine Forderung sowie den Eröffnungsgrund glaubhaft macht. Begründet ist der Insolvenzantrag, wenn gemäß § 16 InsO ein Eröffnungsgrund gegeben ist, im Falle eines Gläubigerantrags also Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung zur Überzeugung des Gerichts im Zeitpunkt der Eröffnung vorliegen.

Die Annahme des Landgerichts, ob das für die Entscheidung über die sofortige Beschwerde allein maßgeblich sei, bezogen auf den Zeitpunkt der Eröffnungsentscheidung ein Eröffnungsgrund im Sinne von § 16 InsO gegeben sei, lässt sich damit nicht in Einklang bringen.

Zur Frage des Vorliegens der Insolvenzantragsgründe Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung stehen wir Ihnen in unserer auf das Insolvenzrecht spezialisierten Kanzlei kompetent zur Verfügung.

 

Rechtsanwalt Manuel Ast


Insolvenzrecht - OLG Frankfurt zur Frage, ob Vollstreckungsmaßnahmen eines Vollstreckungsorgans Rechtshandlungen im Sinne von § 129 Abs. 1 InsO darstellen können

Insolvenzrecht – OLG Frankfurt zur Frage, ob Vollstreckungsmaßnahmen eines Vollstreckungsorgans Rechtshandlungen im Sinne von § 129 Abs. 1 InsO darstellen können

 

„1. Eine Vollstreckungsmaßnahme des Vollstreckungsorgans stellt keine Rechtshandlung im Sinne von § 129 Abs. 1 InsO dar. Einer solchen Rechtshandlung steht es aber nicht entgegen, wenn der Schuldner unter dem Druck der Zwangsvollstreckung zahlt. Übergibt der Schuldner dem Vollziehungsbeamten Bargeld, deren Pfändung andernfalls hätte hinnehmen müssen, ist diese Zahlung nicht nach § 131 Abs. 1 InsO anfechtbar. Umgekehrt ist aber bei einer Barzahlung von einer Rechtshandlung auszugehen, wenn der Vollziehungsbeamte auf das Bargeld nicht ohne tatsächliche oder rechtliche Hindernisse hätte zugreifen können.

2. Die Beweislast für die Rechtshandlung trägt der anfechtende Insolvenzverwalter.

3. Liegen Quittungen für den Einzahler vor, ausweislich derer der Vollziehungsbeamte jeweils einen glatten Einzahlungsbetrag in bar erhalten hat, dann sprechen die glatten Beträge für willensgeleitete Entscheidungen des Schuldners und gegen Pfändungen.

4. Ein Beklagter darf nicht pauschal eine Erklärung mit Nichtwissen abgeben, wenn ihm die Urkunden zum gegnerischen Vortrag vorgelegt worden sind. Er muss dann substantiiert bestreiten.“

Bei Fragen hinsichtlich der Anfechtbarkeit von Rechtshandlungen stehen Ihnen unsere auf das Insolvenzrecht spezialisierten Anwälte kompetent zur Verfügung.

 

Rechtsanwalt Manuel Ast


Insolvenzrecht - Beihilfe an einer Insolvenzverschleppung durch einen Notar

Insolvenzrecht – Beihilfe an einer Insolvenzverschleppung durch einen Notar

Hintergrund

Im vorliegenden Fall hat die Staatsanwaltschaft Lübeck Anklage gegen einen Rechtsanwalt und Notar erhoben, da sie ihm zur Last legt, einen anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat – einer Insolvenzverschleppung gemäß §§ 15 a Abs. 1 S. 1, Abs. 4 Nr. 1 InsO – Beihilfe geleistet zu haben.

So habe der Angeklagte in seiner Funktion als Notar am 20.09.2017 den Geschäftsanteilskaufvertrag mit der Urkunden Nr. 367/2017 über den Verkauf und die Abtretung von Gesellschaftsanteilen, die Geschäftsführerabberufung und Neubestellung sowie die Sitzverlegung der pp. beurkundet. Hierbei soll er gewusst haben, dass die bei diesen Beurkundungen beteiligten Personen mit der Übernahme der Gesellschaftsanteile und der Geschäftsführung den Zweck verfolgten, dieser einer ordnungsgemäßen insolvenzrechtlichen Abwicklung zu entziehen. Trotz Zahlungsunfähigkeit der pp. am 31.10.2017 hätten pp und pp. innerhalb von drei Wochen keinen Insolvenzantrag gestellt, obwohl sie dazu verpflichtet gewesen seien. Das Amtsgericht Lübeck hatte im März 2021 daher einen Strafbefehl gegen pp. erlassen unter anderem wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung in Bezug auf die pp. Das Amtsgericht ging davon aus, dass die pp. spätestens am 31.10.2017 zahlungsunfähig gewesen sei.

Im Weiteren hat das Amtsgericht die Eröffnung des Hauptverfahrens aus tatsächlichen Gründen abgelehnt, da keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte zur Begründung eines hinreichenden Tatverdachts in Bezug auf die Begehung einer Straftat gemäß §§ 15 a Abs. 1 S. 1, Abs. 4 Nr. 1 InsO, 27 StGB vorliegen. Die ermittelten Umstände begründeten keine Beihilfehandlung des Angeklagten. So liege weder eine berufsuntypische Handlung des Angeklagten vor noch sei er in die Planungen von pp. einbezogen gewesen. Bei den Beurkundungen am 20.09.2017 habe der Angeklagte nicht erkannt, dass das Handeln auf die Begehung einer Insolvenzverschleppung gerichtet gewesen sei. Dies sah das Landgericht Lübeck zusammen mit der Staatsanwaltschaft Lübeck, die die Beschwerde eingelegt hat, anders.

„1. Hinreichender Tatverdacht liegt vor, wenn bei vorläufiger Tatbewertung auf Grundlage des Ermittlungsergebnisses die Verurteilungen einer Hauptverhandlung mit voll gültigen Beweismitteln wahrscheinlich ist. Die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung in der Hauptverhandlung muss in der Regel höher sein als diejenige eines Freispruchs.

2. Auch ein faktischer Geschäftsführer ist nach §§ 15 a Abs. 1 S. 1, Abs. 4 Nr. 1 InsO strafrechtlich verantwortlich.

3. Bei einer berufstypischen Handlung liegt nur dann eine Beihilfehandlung vor, wenn der Handelnde weiß, dass das Handeln des Haupttäters ausschließlich auf die Begehung einer Straftat abzielt oder wenn das von ihm erkannte Risiko strafbaren Verhaltens des von ihm Unterstützten derart hoch war, dass es sich die Förderung eines erkennbar tatgeneigten Täters angelegen sein ließen.

4. Die Kenntnis eines Notars im Hinblick auf die Förderung einer Insolvenzverschleppung kann durch die Feststellung von Indizien belegt werden. Hierfür kommen unter anderem insbesondere in Betracht: Übertragung sämtlicher Geschäftsanteile an einen Dritten, Änderung der Firmierung, wiederholter Wechsel in der Person des Geschäftsführers, Sitzverlegungen der Gesellschaft an einen entfernt gelegenen Ort oder ins Ausland.“

LG Lübeck, Beschluss vom 27.03.2023 – 6 QS 33/22.

In unserer auf das Insolvenzrecht spezialisierten Kanzlei stehen wir Ihnen bei Fragen zu den Voraussetzungen einer Insolvenz sowie zu den Gefahren einer Insolvenzverschleppung gerne zur Verfügung.

 

 

Rechtsanwalt Manuel Ast


Insolvenzrecht - Schadensersatzpflicht des Wirtschaftsprüfers im Insolvenzverfahren

Insolvenzrecht – Schadensersatzpflicht des Wirtschaftsprüfers im Insolvenzverfahren

„1.
Die vom BGH entwickelten Grundsätze zur Haftung des Steuerberaters für die Erstellung eines unzutreffenden Jahresabschlusses – wie sie zuletzt in der Entscheidung des BGH vom 26.01.2017 (IX ZR 285/14) ihren Niederschlag gefunden haben – finden auch auf die Haftung des Wirtschaftsprüfers Anwendung.

2.
Eine Pflichtverletzung des Wirtschaftsprüfers scheidet aus, wenn der Lagebericht eine eindeutige Formulierung aufweist, aus welcher er schließen kann, dass der Geschäftsleitung ein Insolvenzrisiko bekannt war.“

LG Ingolstadt, Beschluss vom 22.05.2023 – 81 O 2018/22, Beck RS 2023, 20727.

Hintergrund

Der Kläger macht als Insolvenzverwalter der UG & Co. KG Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte aufgrund eines Insolvenzvertiefungsschadens geltend. Die im Jahr 2016 als GmbH & Co. KG gegründete UG (haftungsbeschränkt) & Co. KG bot auf dem Kapitalmarkt Kapitalanlagen an und bewarb diese. Das hierbei praktizierte Anlagemodell sah vor, dass private Anleger der Schuldnerin ein Darlehen gewähren. Die eingeworbenen Gelder sollten ihrerseits als Darlehen und Projektgesellschaften weitergereicht werden, die mit den Geldern Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien errichten und betreiben sollten. Die Darlehensverträge zwischen der Schuldnerin und den Anlegern einerseits und der Schuldnerin und den Projektgesellschaften andererseits enthielten jeweils qualifizierte Rangrücktrittsklauseln. Durch diese sollte das wirtschaftliche bzw. unternehmerische Risiko vollständig auf die Darlehensgeber verlagert werden. Die Schuldnerin beauftragte die Antragsgegnerin, den Jahresabschluss der Schuldnerin für das Jahr 2018 und den hierzu erstellten Lagebericht im Rahmen des ihr erteilten Prüfauftrags am 10.09.2019 zu erstellen. Der Jahresabschluss aus dem Jahr 2018 wurde von der Antragsgegnerin mit folgender Bemerkung versehen:

„Die Gesellschaft weist zum 31.12.2018 einen nicht durch Vermögensanlagen gedeckten Fehlbetrag aus. Eine Überschuldung im Sinne der Insolvenzordnung ist aufgrund der Rangrücktrittsvereinbarungen in den in der Gesellschaft gewährten Nachrangdarlehen nicht gegeben.“

Sie hat den erstellten Jahresabschluss für das Jahr 2018 am 10.09.2019 testiert. Der Antragsteller trägt vor, dass dem Geschäftsführer der Schuldnerin zwar die Problematik der Wirksamkeit der Nachrangklausel bekannt gewesen sei. Er habe demgegenüber den Zusammenhang zwischen der Unwirksamkeit der Nachrangklauseln an dem Fehlen einer positiven Führungsprognose nicht gekannt und damit keine Kenntnis von seiner Verpflichtung, einen Insolvenzantrag zu stellen, gehabt.

Für den Fall, dass der Geschäftsführer der Schuldnerin von der Beklagten auf das Fehlen einer positiven Fortführungsprognose hingewiesen worden wäre, wäre er seiner Verpflichtung, einen Insolvenzantrag zu stellen, umgehend nachgekommen. Die Antragsgegnerin sei zum Ersatz des entstandenen Insolvenzvertiefungsschaden verpflichtet.

Landgericht verneint Haftung des Wirtschaftsprüfers

Eine Haftung der Antragsgegnerin unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung von Hinweis- und Warnpflichten nach den §§ 280 Abs. 1, 675 Abs. 1 BGB kommt bereits deswegen nicht in Betracht, da die Antragsgegnerin bzw. der konkret für sie tätige Prüfer Grund zu der Annahme hatte, dass die Insolvenzschuldnerin sich der Umstände, die auf einen Insolvenzgrund hinweisen – hier die Problematik der Rechtswirksamkeit der Nachrangklauseln – bewusst und in der Lage war, die tatsächliche und rechtliche Bedeutung dieser Umstände einzuschätzen.

Der Lageplan ist ein selbstständiger Teil des Jahresabschlusses. Dieser wird zwar, wie auch die anderen Teile, vom Wirtschaftsprüfer testiert. Der Wirtschaftsprüfer erstellt jedoch den Lagebericht nicht selbst. Außerdem wurde der Lagebericht vom damaligen Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin gezeichnet. Lediglich das Testat am Ende des Jahresabschlusses stammt vom Wirtschaftsprüfer. Da beim Lagebericht der damalige Geschäftsführer somit selbst festgehalten hat, dass eine Überschuldung der Firma im insolvenzrechtlichen Sinne nur wegen der Rangrücktrittsvereinbarungen in den der Gesellschaft gewährten Nachrangdarlehen nicht gegeben sei, steht zur Überzeugung des Gerichts bereits positiv fest, dass dem Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin die tatsächliche und auch rechtliche Problematik der nach Rechtswirksamkeit der Nachrangklauseln bewusst und in der Lage war, die tatsächliche und rechtliche Bedeutung bewusst war.

Eine Pflichtverletzung des Wirtschaftsprüfers scheidet hier also aus, wenn der Lagebericht eine eindeutige Formulierung aufweist, aus welcher man erschließen kann, dass der Geschäftsleitung ein Insolvenzrisiko bekannt war. Es bleibt festzuhalten, dass aber grundsätzlich die vom BGH entwickelten Grundsätze zur Haftung des Steuerberaters für die Erstellung eines unzutreffenden Jahresabschlusses auch auf die Haftung eines Wirtschaftsprüfers Anwendung finden.

Unsere auf das Insolvenzrecht spezialisierten Anwälte stehen Ihnen bei der Geltendmachung und Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen gegen einen beauftragten Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater kompetent zur Verfügung.

 

Rechtsanwalt Manuel Ast


Insolvenzrecht - Schadensersatzpflicht des Rechtsberaters im Insolvenzverfahren

Insolvenzrecht – Schadensersatzpflicht des Rechtsberaters im Insolvenzverfahren

„1.
Die Einbeziehung eines Dritten in den Schutzbereich des zwischen Rechtsberater und Mandant geschlossenen Mandatsvertrags ist nicht allein deshalb ausgeschlossen, weil dem Berater im Verhältnis zum Mandanten nur eine Schutz- oder Fürsorgepflichtverletzung zur Last fällt.

2.
Die Hinweis- und Warnpflicht des Rechtsberaters bei möglichem Insolvenzgrund kann Drittschutz für den Geschäftsleiter der juristischen Person oder Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit entfalten; Voraussetzung ist ein Näheverhältnis zu der nach dem Mandatsvertrag geschuldeten Hauptleistung.

3.
In den Schutzbereich des Vertrags bei Verletzung der Hinweis- und Warnpflicht bei möglichem Insolvenzgrund kann auch ein faktischer Geschäftsleiter einbezogen sein.“

 

Hintergrund

Der BGH entschied in einem Fall, in welchem die Klägerin die Beklagte als Haftpflichtversicherer eines in insolvenzgefallenen Rechtsanwalts in Anspruch nimmt. Sie macht geltend, ihr stünden Schadensersatzansprüche aus abgetretenem Recht gegen den versicherten Rechtsanwalt zu, da dieser Hinweis- und Warnpflichten verletzt habe.

Zedenten des abgetretenen Schadensersatzanspruchs sind M und J. M Senior war bis Ende 2009 Geschäftsführer der persönlich haftenden Gesellschafterin der M GmbH & Co. KG. Danach wurde sein Sohn J Junior, Geschäftsführer. Die Klägerin behauptet, M Senior sei weiterhin faktisch als Geschäftsführer tätig gewesen. Die KG beauftragte den Rechtsanwalt ab Juli 2009 wiederholt mit ihrer Beratung. Auf Antrag vom 04.06.2012 wurde am 01.08.2012 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der KG eröffnet. Der Insolvenzverwalter nahm M und J wegen verbotener Zahlungen nach Insolvenzreife in Anspruch. Diese verpflichteten sich im Wege eines Vergleichs als Gesamtschuldner zu einer Zahlung in Höhe von 85.000,00 €. Die Zahlung wurde geleistet.

In Höhe dieses Betrags verlangt die Klägerin von dem beklagten Haftpflichtversicherer Schadensersatz. Sie meint, der Rechtsanwalt habe seine Beratungspflichten im Blick auf eine bestehende Insolvenzreife der KG verletzt; M und J sind als formaler und faktischer Geschäftsführer in den Schutzbereich der mit der KG geschlossenen Mandatsverträge einbezogen gewesen. Auf dieser Grundlage begehrt die Klägerin zudem Ersatz von Rechtsanwaltskosten in Höhe von 11.766,66 €, die M und J in der rechtlichen Auseinandersetzung mit dem Insolvenzverwalter über den geltend gemachten Anspruch wegen Zahlungen nach Insolvenzreife entstanden sind.

Landgericht gibt Klage statt

Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 96.766,66 € stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin den Anspruch weiter.

BGH – Klägerin hat Anspruch auf Schadensersatz

Nach Auffassung des BGH hat das Berufungsgericht sich nach Beweisaufnahme nicht davon überzeugen können, dass der Rechtsanwalt im Sinne einer Hauptpflicht gehalten gewesen sei, auf einen möglichen Insolvenzgrund und die daran anknüpfenden Handlungspflichten der organschaftlichen Vertreter der KG hinzuweisen. Ob eine entsprechende Nebenpflicht bestanden habe, hat das Berufungsgericht offengelassen. Insoweit fehle es an einer Einbeziehung der Vertreter in den Schutzbereich des zwischen dem Rechtsanwalt und der KG geschlossenen Mandatsverträge. Bestünden bloß nebenvertragliche Hinweis- und Warnpflichten, etwa wenn sich im Zusammenhang mit der anwaltlichen Tätigkeit als Punkte für die Gefahr einer Insolvenz des Mandanten ergeben, führe es zu weit, den organschaftlichen Vertreter in den haftungsrechtlich relevanten Schutzbereich des Vertrags zwischen der Gesellschaft und dem Rechtsanwalt auch hinsichtlich der Verletzung solcher bloß nebenvertraglichen Pflichten einzubeziehen. Dem folgt der BGH nicht.

Die Einbeziehung eines Dritten in den Schutzbereich des zwischen Rechtsberater und Mandant geschlossenen Beratungsvertrages ist nicht allein deshalb ausgeschlossen, weil dem Berater im Verhältnis zum Mandanten nur eine Schutz- oder Fürsorgepflichtverletzung (§ 241 Abs. 2 BGB) zur Last fällt.

Vor diesem Hintergrund kann offenbleiben, ob es revisionsrechtlicher Prüfung standhält, dass sich das Berufungsgericht nicht hat von einer Haftpflicht des Rechtsanwalts überzeugen können, auf eine mögliche Insolvenzreife der KG und die daran anknüpfenden Handlungspflichten hinzuweisen. Die Einbeziehung eines Dritten in den Schutzbereich eines Vertrags kommt auch dann in Betracht, wenn der Vertragsschuldner nur eine Schutz- oder Fürsorgepflicht verletzt hat. Auch die Hinweis- und Warnpflicht des Rechtsberaters bei möglichem Insolvenzgrund kann Drittschutz entfalten. Die Insolvenzantragspflicht begründet Handlungspflichten für den Geschäftsleiter; missachtet er die Antragspflicht, drohen ihm persönlich Haftungsfolgen. Die Haftungsfolgen sind im Fremdinteresse angeordnet, nicht aber im Interesse des Mandanten. Es handelt sich materiell um eine Haftung im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger der insolvenzreifen Gesellschaft, um die verteilungsfähige Vermögensmasse zu erhalten und eine zum Nachteil der Gesamtheit der Gläubiger gehende, bevorzugte Befriedigung einzelner Gläubiger zu verhindern.

Die Insolvenzantragspflicht und die Haftung im Fremdinteresse, welche den Drittschutz begründen, sind der maßgebliche Unterschied zu der Fallgestaltung, in der die Beratung für Entscheidungen des Mandanten Gegenstand des Mandatsvertrags ist und für den Vertreter die Gefahr besteht, auf der Grundlage der Beratung seinerseits seine gegenüber dem Mandanten bestehenden Pflichten zu verletzen. Verhält es sich so, scheiden Schutzwirkungen des Mandatsvertrags zugunsten des Vertreters im Allgemeinen aus. Die Hinweis- und Warnpflicht bei möglichem Insolvenzgrund greift nur unter engen Voraussetzungen ein. Geschuldet sind Hinweis oder Warnung erst, wenn dem Berater der mögliche Insolvenzgrund bekannt wird, dieser führend offenkundig ist oder der Insolvenzgrund sich ihm bei ordnungsgemäßer Bearbeitung des Mandats aufdrängt. Die bloße Erkennbarkeit reicht nicht aus. Ferner muss der Berater Grund zur Annahme haben, dass sich der Geschäftsleiter nicht über den möglichen Insolvenzgrund und die daraus folgenden Handlungspflichten bewusst ist. Die Hinweis- und Warnpflicht erfordert keine eigenständige Prüfung oder Ermittlung des Insolvenzgrundes.

In unserer auf das Insolvenz- und Gesellschaftsrecht spezialisierten Kanzlei stehen wir Ihnen bei der Geltendmachung und Durchsetzung von Schadensersatzverpflichtungen eines Rechtsberaters im Insolvenzverfahren kompetent zur Verfügung.

 

Rechtsanwalt Manuel Ast


Insolvenzrecht - Anspruch des vom Insolvenzverwalter in Anspruch genommenen Geschäftsführers der Insolvenzschuldnerin auf Einsicht in die Verfahrensakten des Insolvenzverfahrens

Insolvenzrecht – Anspruch des vom Insolvenzverwalter in Anspruch genommenen Geschäftsführers der Insolvenzschuldnerin auf Einsicht in die Verfahrensakten des Insolvenzverfahrens

„1.
Der Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin, der sich gegen einen Anspruch aus § 64 S. 1 GmbHG a. F. verteidigen will, hat ein berechtigtes Interesse auf Einsicht in die Verfahrensakten des Insolvenzverfahrens.

2.
Im Rahmen der Ermessensentscheidung über den Auskunftsanspruch ist von der Gerichtsverwaltung das Geheimhaltungsinteresse der Verfahrensbeteiligten gegen das Informationsinteresse des Geschäftsführers abzuwägen.“

Hintergrund

In dem vom OLG zu entscheidenden Fall wurde der Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin vom Insolvenzverwalter vor dem Landgericht Heidelberg nach § 64 S. 1 GmbHG a. F. wegen Zahlungen in Höhe von insgesamt knapp 5,5 Mio. € in Anspruch genommen, die von dem Antragsteller als Geschäftsführer zwischen dem Zeitpunkt der Insolvenzreife im Februar 2014 und dem durch den Antragsteller im März 2014 gestellten Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen drohender Zahlungsunfähigkeit vorgenommen worden seien.

Der Geschäftsführer der Schuldnerin hat bei dem Antragsgegner Einsicht in die gerichtlichen Verfahrensakten des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin beantragt, um die von dem Insolvenzverwalter geltend gemachten Ansprüche zu überprüfen. Dem ist der Insolvenzverwalter entgegengetreten. Das Auskunftsrecht des Antragstellers beschränke sich auf die Einsichtnahme in die Buchhaltungsunterlagen des schuldnerischen Unternehmens. Diese Unterlagen seien auch zur Verfügung gestellt worden. Es fehle an einem erforderlichen rechtlichen Interesse an der begehrten Akteneinsicht.

Der Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin hat sein rechtliches Interesse dann dahingehend konkretisiert, dass er auf die Einsicht in die Verfahrensakten des Insolvenzverfahrens angewiesen sei, um in Erfahrung zu bringen, ob der Insolvenzverwalter Zahlungen an Gläubiger, wegen derer Ansprüche aus § 64 GmbHG a. F. geltend gemacht werden, erfolgreich gemäß der §§ 129 ff. InsO angefochten habe.

OLG – Anspruch Geschäftsführer besteht

Das OLG Karlsruhe urteilte, dass dem Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin ein Akteneinsichtsrecht aus § 4 InsO i.V.m. § 299 Abs. 2 ZPO zusteht. Eine Entscheidung über ein Akteneinsichtsgesuch eines Dritten gemäß § 299 Abs. 2 ZPO stellt einen Justizverwaltungsakt im Sinne des § 23 Abs. 1 S. 1 EGGVG dar. § 299 Abs. 2 ZPO setzt voraus, dass persönliche Rechte des Antragstellers durch den Gegenstand des Verfahrens, in dessen Akteneinsicht begehrt wird, berührt werden. Dabei muss sich das rechtliche Interesse aus der Rechtsordnung selbst ergeben und verlangt als Mindestbedingung ein auf Rechtsnormen beruhendes oder durch solche geregeltes gegenwärtiges Verhältnis einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache. Danach muss das vom Einsichtsgesuch betroffene Verfahren selbst oder zumindest dessen Gegenstand für die rechtlichen Belange des Antragstellers von konkreter rechtlicher Bedeutung sein.

Nach Ansicht des OLG Karlsruhe liegen diese Voraussetzungen hier vor. Der Antragsteller begehrt Akteneinsicht, um sich gegen einen Anspruch aus § 64 S. 1 GmbHG a. F. zu verteidigen. Dieser setzt voraus, dass von der Gemeinschuldnerin nach Eintritt ihrer Zahlungsunfähigkeit oder nach Feststellung ihrer Überschuldung Zahlungen geleistet worden sind. Für die Verteidigung kommt es unter anderem maßgeblich darauf an, ob und wann Zahlungsunfähigkeit der Gemeinschuldnerin eingetreten ist. Eben diese Zahlungsunfähigkeit ist aber Gegenstand des Insolvenzverfahrens.

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 01.04.2023 – 24 VA 4/22

In unserer interdisziplinären Kanzlei beraten wir insbesondere Geschäftsführer im Umgang mit einer drohenden Zahlungsunfähigkeit oder während eines bestehenden Insolvenzverfahrens.

 

Rechtsanwalt Manuel Ast


Insolvenzrecht - Überschuldung bei kurzem rechnerischen Negativsaldo und Verlustdeckungszusage

Insolvenzrecht – Überschuldung bei kurzem rechnerischen Negativsaldo und Verlustdeckungszusage

„1.
Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen eines Unternehmens nicht mehr die bestehenden Verbindlichkeiten deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Dabei sind nicht die fortgeschriebenen Wertansätze der Jahresbilanz als entscheidend zugrunde zu legen, sondern eine Überschuldungsbilanz hat nach eigenen, auf den Zweck der Insolvenzeröffnung zugeschnittenen Bewertungsgrundsätzen, den wahren Wert des Unternehmens zu ermitteln. Legt der Insolvenzverwalter nur eine Handelsbilanz vor, aus der sich ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag ergibt, hat er jedenfalls die Ansätze dieser Bilanz darauf zu überprüfen und zu erläutern, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang stille Reserven oder sonstige aus ihr nicht ersichtliche Vermögenswerte vorhanden sind.

2.
Eine Überschuldung ist nicht anzunehmen, wenn eine tatsächliche rechnerische Überschuldung zwar am Bilanzstichtag am Jahresende vorliegt, jedoch zu Beginn des neuen Jahres der Minusbetrag durch eine Zahlung wieder ausgeglichen wird. Denn eine Überschuldung liegt bei einem nur für wenige Tage bestehenden Negativsaldo nicht vor. Bei einer Überschuldung muss es sich um einen zumindest für sechs Wochen andauernden Zustand handeln.

3.
Gegen die Annahme einer Überschuldung spricht auch eine Verlustdeckungszusage des Mutterkonzerns. Eine Pflicht zur Verlustübernahme ergibt sich auch aus einer aus Kontoauszügen hervorgehenden finanziellen Verstrickung an einer sonstigen Abhängigkeit von Schwester und Mutterunternehmen, sodass es sich um einen faktischen Konzern handelt.“

OLG Schleswig-Holstein, Urteil vom 29.09.2021 – 9 U 11/21

Hintergrund

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der A-GmbH. Er nimmt den Beklagten aus Geschäftsführerhaftung wegen Zahlungen nach Insolvenzreife in Anspruch. Erstinstanzlich hat der Kläger den Beklagten teilweise gesamtschuldnerisch auf Zahlung von insgesamt 720.758,17 € in Anspruch genommen. Das LG hat die Klage abgewiesen. Der Beklagte war faktischer und ab dem 25.01.2010 auch eingetragener Geschäftsführer der Schuldnerin, die auf ihrem im Eigentum der BRD stehenden, von der Firma C-GmbH angemieteten Geschäftsgrundstück einen Handel mit Paraffin betrieb. Für die Lagerung des flüssigen Paraffins in den Tanks war dessen vorherige Erhitzung erforderlich. Die Schuldnerin war Teil eines Konzerns, der neben ihr aus der Muttergesellschaft A-Holding AG und der Schwestergesellschaft A. C. AG, beide mit Sitz in der Schweiz, bestand. Die A-Holding AG war alleinige Gesellschafterin der Schuldnerin und der A. C. AG. Der Beklagte war Präsident des Verwaltungsrates sowohl der A. C. AG als auch der A-Holding AG und war zu 54 % am Kapital der A-Holding AG beteiligt.

In der Nacht vom 11.06.2009 auf den 12.06.2009 zerstörte ein Großbrand den gesamten Betrieb der Schuldnerin. Die Schuldnerin unterhielt bei der D Versicherungs AG unter anderem eine Betriebshaftpflichtversicherung mit einer Höchstdeckungssumme von 2,5 Million €. Die Versicherung lehnte die Erteilung einer Deckungszusage ab, da seit dem Jahr 2006 als Risiko lediglich die Abwicklung des Handels mit Paraffin zur Kerzenproduktion versichert sei, sich bei dem Brand jedoch das Risiko eines Produktions- oder Veredelungsbetriebs nicht eines Handelsbetriebs verwirklicht habe. Die Schuldnerin nahm nach dem Brand ihren Betrieb nicht wieder auf. Auf den Antrag des Beklagten vom August 2010 wurde im November 2010 über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Kläger hat behauptet, die Schuldnerin sei bereits im Jahr 2008, spätestens aber seit dem Brandereignis im Jahr 2009 überschuldet gewesen. Der Beklagte hat behauptet, die BRD und die Firma C hätten bis zur Stellung des Insolvenzantrags keine konkreten Forderungen wegen der Brandschäden an die Schuldnerin herangetragen. Im Übrigen sei das Risiko durch die Versicherung der Firma C abgedeckt gewesen.

LG weist Klage ab

Das LG hat die auf Zahlung gerichtete Klage abgewiesen, da der Kläger weder die Überschuldung noch eine Zahlung der Schuldnerin zur Überzeugung des Gerichts habe darlegen und beweisen können. Insbesondere sei das Indiz der rechnerischen Überschuldung aufgrund der Fehlbeträge in den Jahren 2008 und 2009 durch die konzerninterne Verlust-Deckungszusage der A-Holding AG gegenüber der Schuldnerin widerlegt. Auch das Brandereignis habe nicht zu einer Überschuldung geführt, da nicht feststellbar sei, dass der BRD durch den Brand tatsächlich Schäden von über 2,5 Million € entstanden wären und Schäden bis zu dieser Höhe von der Versicherung der Schuldnerin gedeckt gewesen seien.

OLG bestätigt Urteil des LG

Nach Ansicht des OLG hat das LG die geltend gemachten Ansprüche des Klägers gegen den Beklagten aus Geschäftsführerhaftung zurecht zurückgewiesen. Dem Kläger stehen als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin keine Ersatzansprüche gegen den Beklagten aus Geschäftsführerhaftung nach § 64 S. 1 GmbHG a. F. u. Eine Ersatzpflicht des Beklagten für von ihm veranlasste Zahlungen kommt nach § 64 S. 1 GmbHG in Betracht, wenn diese nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleistet wurden, ohne dass die Zahlungen mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar wären.

Anhaltspunkte für eine Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Zahlungen wurden vom LG zu Recht verneint. Eine Überschuldung ist also bei kurzem rechnerischen Negativsaldo und Verlustdeckungsanzeige noch nicht gegeben.

Als Geschäftsführer einer GmbH ist es immens wichtig, die Zeichen einer sich anbahnenden finanziellen Krise zu erkennen und umgehend Gegenmaßnahmen einzuleiten.

 

Rechtsanwalt Manuel Ast


Insolvenzrecht - Schadensersatzpflicht des Unternehmensberaters gegenüber dem Geschäftsführer der beauftragenden GmbH wegen Pflichtverletzung bei Sanierungsbegutachtung

Insolvenzrecht – Schadensersatzpflicht des Unternehmensberaters gegenüber dem Geschäftsführer der beauftragenden GmbH wegen Pflichtverletzung bei Sanierungsbegutachtung

Im Rahmen einer Sanierungsbegutachtung nach IDWS6-Standard gehört es zu den Kernanforderungen an den Gutachter, in einer Form auf eine eingetretene Zahlungsunfähigkeit hinzuweisen, die geeignet ist, die verantwortlichen Personen zur Einleitung der insolvenzrechtlich erforderlichen Eilmaßnahmen anzuhalten. Ein Verweis des Gutachters auf die Nichterbringung von Rechts- und Steuerberaterleistungen, weil der beauftragte Gutachter weder Rechtsanwalt noch Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer ist, befreit diesen nicht von den zur Erfüllung der Pflicht nach IDWS6 zu treffenden Feststellungen zur Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung. Der Geschäftsführer kommt aufgrund § 64 Abs. 1 GmbHG a. F. mit der Frage der Insolvenzreife der GmbH in gleicher Weise in Berührung wie die GmbH als Auftraggeber selbst, weshalb der Begutachtungsvertrag nach IDWS6-Standard Schutzwirkung zugunsten des Geschäftsführers entfaltet.

OLG Bamberg, Urteil vom 31.07.2023 – 2 U 38/22.

 

Hintergrund

Die Parteien streiten über Ansprüche wegen Pflichtverletzung aus einem Sanierungsberatervertrag. Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der B-GmbH. Diese gehörte zusammen mit der X-GmbH und der Y-GmbH zur X-Firmengruppe. Geschäftsführer der B war Herr H. Der Beklagte ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der D-GmbH. Diese beriet kleine und mittlere Unternehmen in Krisensituationen. Im Frühjahr 2013 befand sich die X in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Auf Initiative eines Kreditgebers sollten die wirtschaftlichen Fortführungsmöglichkeiten der X durch eine externe Begutachtung festgestellt werden. Hierzu legte die D im April 2013 zunächst eine Projektskizze vor betreffend die Erstellung eines Sanierungsgutachtens in Anlehnung an den IDWS6-Standard. Auf der letzten Seite der Projektskizze befindet sich unmittelbar über den Unterschriften folgende Bestimmung:

„Die D erbringt keine Rechts- oder Steuerberatungs- oder Wirtschaftsprüfungsleistungen. Sie wird alles unternehmen, um die beschriebenen Aufgaben erfolgreich zu erfüllen und haftet für vorsätzliche und grobe Fahrlässigkeit ihrer Berater für Vermögensschäden bis zu einer Höhe von 1 Million €. Die D verpflichtet sich, alle Informationen über den Auftraggeber und dessen Unternehmen, von denen die Berater im Rahmen des Projekts Kenntnis erhalten, streng vertraulich zu behandeln.“

Die B-GmbH beauftragte die D daraufhin am 06.05.2013 mit der Erstellung eines Sanierungsgutachtens entsprechend dem in der Projektskizze vom 25.04.2013 beschriebenen Auftragsumfang. Aufgrund des Eigenantrags der B vom 13.03.2014 wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Insolvenzgericht Neubrandenburg vom 16.04.2014 nichtsdestotrotz das Insolvenzverfahren über das Vermögen der B eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Kläger war der Auffassung, dass der Geschäftsführer H gemäß § 64 S. 1 GmbHG a. F. zum Ersatz masseschmälernder Zahlungen verpflichtet sei, welche die B in den Monaten Januar und Februar 2014 geleistet habe, da die Gesellschaft zu diesem Zeitpunkt bereits zahlungsunfähig gewesen sei. Die D habe es versäumt, auf die Insolvenzreife der B hinzuweisen, obwohl sie hierzu bei einem Sanierungsgutachtens nach IDWS6-Standard verpflichtet gewesen sei. Der Vertrag über das Sanierungsgutachten entfaltet Schutzwirkung zugunsten des Geschäftsführers, der über § 64 GmbHG a. F. von der zu prüfenden Insolvenzreife in gleicher Weise betroffen sei wie die Gesellschaft selbst.

LG weist Klage ab

Mit am 19.07.2022 verkündetem Endurteil hat das LG die Klage abgewiesen. In der Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass es bereits an einer Einbeziehung des Geschäftsführers H in den Schutzbereich des zwischen der D und der B geschlossenen Beratungsvertrages fehle. Die vertraglich geschuldete Fortbestehens- und Fortführungsprognose habe allein den wirtschaftlichen Interessen der B gedient.

OLG – Kläger steht 50 %iger Zahlungsanspruch zu

Das OLG urteilte, dass die zulässige Berufung teilweise begründet ist. Dem Kläger steht aus abgetretenem Recht unter Berücksichtigung eines Anspruchs kürzenden Mitverschuldens des Geschäftsführers der B von 50 % ein Zahlungsanspruch gemäß der §§ 280 Abs. 1, 611, 675, 398 BGB zu. Mit dem zwischen der B und der D mit Auftragserteilung vom 06.05.2013 geschlossenen Sanierungsberatungsvertrag wurde das vollständige Leistungsspektrum nach dem Standard IDWS6 beauftragt. Eine hiervon abweichende und abschließende Vereinbarung durch die D zu erbringender Leistungen besteht nicht. Grundlage des Vertrages war die Projektskizze aus dem April 2013. In der Überschrift der Projektskizze ist angeführt, dass die Fertigung des Gutachtens in Anlehnung an den IDWS6-Standard erfolgt. Insoweit ist durch den Sanierungsgutachter der Hinweis auf eine eingetretene Zahlungsunfähigkeit in einer Form geschuldet, die es dem Auftraggeber ermöglicht, die gebotenen rechtlichen Konsequenzen zu ziehen. Der Sanierungsgutachter hat danach den Eintritt der Insolvenzreife im Zeitraum bis zur Fertigstellung des Gutachtens auszuschließen. Für den Gutachter selbst gilt, dass er die Begutachtung zu beenden oder zu versagen hat, sobald für ihn erkennbar wird, dass eine Insolvenzantragspflicht bereits vorliegt und dennoch eine außergerichtliche Sanierung noch versucht werden soll.

Eine Pflichtverletzung gemäß § 280 Abs. 1 BGB der D ist gegeben. Sie hat nicht in der vertraglich geschuldeten Form auf eine bei Vorlage des Gutachtens am 29.07.2013 bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit der B hingewiesen. Der Vertrag zwischen der B und der D über die Erbringung von Leistungen der Sanierungsberatung entfaltet Schutzwirkung zugunsten des Geschäftsführers der B. Gegen den Geschäftsführer der B bestehen daher aufgrund masseschmälernder Leistungen gemäß § 64 Abs. 2 GmbHG a. F. die geltend gemachten Ansprüche. Die im unterlassenen Hinweis auf die Zahlungsunfähigkeit begründete Pflichtverletzung der D war auch kausal für den eingetretenen Schaden.

Die Entscheidung des OLG Bamberg konkretisiert die Pflichten von Unternehmensberatern im Rahmen einer Sanierungsbegutachtung. Kernanforderungen an den Gutachter sind insbesondere in einer Form auf eine eingetretene Zahlungsunfähigkeit hinzuweisen, die geeignet ist, die verantwortlichen Personen zur Einleitung der insolvenzrechtlich erforderlichen Maßnahmen anzuhalten.

 

Rechtsanwalt Manuel Ast


Insolvenzrecht / Familienrecht - OLG Düsseldorf zur Anfechtbarkeit einer Auseinandersetzungsvereinbarung im gesetzlichen Zugewinnausgleichsanspruch

Insolvenzrecht / Familienrecht – OLG Düsseldorf zur Anfechtbarkeit einer Auseinandersetzungsvereinbarung im gesetzlichen Zugewinnausgleichsanspruch

1. Wird der gesetzliche Zugewinnausgleichsanspruch durch eine Auseinandersetzungsvereinbarung konkretisiert, handelt es sich um einen gegebenenfalls nach § 133 Abs. 4 InsO anfechtbaren entgeltlichen Vertrag, wenn die Vereinbarung sich darauf beschränkt, den ohnehin gesetzlich geschuldeten Ausgleichsbetrag festzulegen. Wird in der Auseinandersetzungsvereinbarung hingegen eine den gesetzlichen Ausgleichsanspruch übersteigende Geld- oder sonstige Forderung begründet, kommt – jedenfalls hinsichtlich des Differenzbetrags – zusätzlich eine Anfechtung nach § 134 InsO in Betracht.

2. Bei einer den Wert der erbrachten bzw. zu erbringenden Gegenleistung übersteigenden Leistung des Schuldners hängt die Frage der teilweisen Unentgeltlichkeit davon ab, ob die Werte in einem groben Missverhältnis zueinander stehen und die Ehegatten den ihnen zustehenden Bewertungsspielraum bei der Auseinandersetzung missbräuchlich überschritten haben. Ob der Bewertungsspielraum überschritten ist, ergibt sich unter objektiven Gesichtspunkten.

3. In einem auf § 134 Abs. 1 InsO gestützten Anfechtungsprozess obliegt dem Insolvenzverwalter die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer unentgeltlichen Leistung des Schuldners. Sind dabei Umstände aus dem Bereich des Anfechtungsgegners relevant, trifft diesen eine sekundäre Darlegungslast.

4. Beruft sich der Anfechtungsgegner darauf, beide Teile seien von einem gleichwertigen Leistungsaustausch ausgegangen, muss der Insolvenzverwalter nur die von dem Anfechtungsgegner substantiiert dargelegten Umstände ausräumen, die eine solche Annahme der Vertragsparteien erlauben.

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.09.2022 – I.-12 W 12/22.

 

In dem vom OLG Düsseldorf zu entscheidenden Fall, machte die Antragstellerin gegen ihren Ehemann Rückgewähransprüche gemäß § 143 Abs. 1 InsO geltend, da der Ehemann seine Miteigentumsanteile an der streitgegenständlichen Immobilie jedenfalls teilweise unentgeltlich und damit insgesamt nach § 134 Abs. 1 InsO anfechtbar auf die Antragsgegnerin übertragen habe.

Dem gab das OLG Düsseldorf statt.

Nach § 143 Abs. 1 InsO muss zur Insolvenzmasse zurückgewährt werden, was durch die anfechtbare Handlung aus dem Vermögen des Schuldners veräußert, weggegeben oder aufgegeben ist. Rückgewähr bedeutet grundsätzlich, dass der betroffene Gegenstand im vollen Umfang seiner Veräußerung, Weg oder Aufgabe in Natur in die Insolvenzmasse zurückgelangen muss. Die Insolvenzmasse ist in die Lage zu versetzen, in der sie sich befinden würde, wenn das anfechtbare Verhalten unterblieben wäre. Erwirkt ein Bruchteilseigentümer – wie hier – das Eigentum insgesamt in anfechtbarer Weise, richtet sich der Anspruch auf Rückgewähr des neu erworbenen Bruchteils des jetzt in der Hand des Erwerbers vereinigten Grundstücks. Nach Wiederherstellung des Miteigentumsanteils kann der Insolvenzverwalter diesen gemäß allgemeinen Regeln verwerten. Er kann sich aber auch, wie die Antragstellerin, darauf beschränken, im Wege der Anfechtung zugleich die Zustimmung des Anfechtungsgegners zur Teilungsversteigerung des gesamten Grundstücks zu verlangen, um den auf die Insolvenzmasse rechnerisch entfallenden Anteil am Erlös zu erhalten.

Hintergrund ist, dass nach § 134 InsO eine unentgeltliche Leistung des Schuldners anfechtbar ist, es sei denn, sie ist früher als vier Jahre vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden. Die Antragstellerin habe in den Augen der Düsseldorfer Richter hinreichend dargetan, dass die Übertragung des hälftigen Miteigentums an der streitgegenständlichen Immobilie durch den Schuldner in dem notariellen Eheauseinandersetzungsvertrag jedenfalls teilweise unentgeltlich erfolgt ist.

Ehevertragliche Vereinbarungen unterliegen, ebenso wie sonstige vertragliche Abreden, grundsätzlich der Anfechtung nach den §§ 129 ff. InsO (vgl. nur BGH, Urteil vom 20.10.1971 – VIII ZR 212/69). Wird der gesetzliche Zugewinnausgleichsanspruch durch eine Auseinandersetzungsvereinbarung konkretisiert, handelt es sich um einen gegebenenfalls nach § 133 Abs. 4 InsO anfechtbaren entgeltlichen Vertrag, wenn diese sich darauf beschränkt, den ohnehin gesetzlich geschuldeten Ausgleichsbetrag festzulegen. Wird in der Auseinandersetzungsvereinbarung hingegen eine den gesetzlichen Ausgleichsanspruch übersteigende Geld- oder sonstige Forderung begründet, kommt jedenfalls hinsichtlich des Differenzbetrages eine Anfechtung nach § 134 InsO in Betracht. Derartige Verträge sind nach denselben Grundsätzen zu behandeln wie gemischte Zuwendungen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH, ist in einem Zwei-Personenverhältnis eine Leistung als unentgeltlich anzusehen, wenn ein Vermögenswert des Verfügenden zugunsten einer anderen Person aufgegeben wird, ohne dass dem Verfügenden ein entsprechender Vermögenswert vereinbarungsgemäß zufließen soll. Entgeltlich ist dagegen eine Verfügung, wenn der Schuldner für seine Leistungen etwas erhalten hat, was objektiv ein Ausgleich für seine Leistung war oder jedenfalls subjektiv nach dem Willen der Beteiligten sein sollte. Für die Bewertung ist in erster Linie die objektivere Wertrelation zwischen der Leistung des Schuldners an der Gegenleistung des Empfängers ausschlaggebend (BGH, Urteil vom 02.12.2021 – IX ZR 111/20). Erst wenn feststeht, dass, objektiv betrachtet, der Schuldner überhaupt einen Gegenwert für seine Zuwendung erhalten hat oder ihm eine werthaltige Gegenleistung versprochen worden ist, besteht Anlass zu prüfen, ob die Beteiligten die erbrachte oder versprochene Gegenleistung als Entgelt angesehen haben oder mit der Verfügung des Schuldners Freigiebigkeit, wenn auch nur teilweise, bezweckt war. Die subjektiven Vorstellungen der Beteiligten sind für die Frage der Entgeltlichkeit zusätzlich von Bedeutung, wenn zu beurteilen ist, ob die Gegenleistung den Wert der Leistung des Schuldners erreicht. Bei dieser Einschätzung steht den Beteiligten ein Bewertungsspielraum zu. Eine teilweise unentgeltliche Leistung unterliegt der Anfechtung insoweit, als deren Wert den der Gegenleistung übersteigt und die Vertragsparteien den ihnen zustehenden Bewertungsspielraum überschritten haben.

Bei einem Ungleichgewicht von Leistung und Gegenleistung ist § 134 InsO nicht anwendbar, wenn beide Teile nach den objektiven Umständen der Vertragsanbahnung, der Vorüberlegungen der Parteien und des Vertragsschlusses selbst von einem Austauschgeschäft ausgehen und zudem im guten Glauben von der Werthaltigkeit der dem Schuldner gewährten Gegenleistung überzeugt sind, die sich erst aufgrund einer nachträglichen Prüfung als wertlos erweist. In gleicher Weise ist eine Fehlvorstellung der Beteiligten über den Wert der vom Schuldner zu erbringenden Leistung nur dann erheblich, wenn sie ihre Grundlage in den objektiven Umständen des Vertragsschlusses findet (BGH, Urteil vom 22.10.2020 – IX ZR 208/18).

Das OLG Düsseldorf empfand vor dem Hintergrund dieser Maßstäbe, dass eine teilweise unentgeltliche Leistung des Schuldners vorliegt. In einem auf § 134 Abs. 1 InsO gestützten Anfechtungsprozess obliegt dem Insolvenzverwalter die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer unentgeltlichen Leistung des Schuldners und demgemäß auch für Umstände, aus denen sich eine Wertadäquanz ergibt. Beruft sich der Anfechtungsgegner darauf, beide Teile seien von einem gleichwertigen Leistungsaustausch ausgegangen, reicht es nicht aus, dass der Insolvenzverwalter ein Missverhältnis des objektiven Werts von Leistung und Gegenleistung darlegt und beweist. Vielmehr muss dartun und beweisen, dass keine objektiven Umstände vorgelegen haben, die eine solche Annahme der Vertragsparteien erlaubten. Bei den behaupteten objektiven Umständen handelt es sich um negative Tatsachen. Dem Insolvenzverwalter kommen daher Erleichterungen nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast zugute. Er muss, um seiner Darlegungs- und Beweislast zu genügen, nicht alle theoretisch denkbaren Umstände ausräumen, welche einen guten Glauben an die Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung begründen könnten. Es reicht vielmehr aus, die von dem Anfechtungsgegner substantiiert dargelegten Umständen auszuräumen. Gelingt dies, ist der Beweis der negativen Tatsache erbracht.

In unserer auf das Insolvenz- und Familienrecht spezialisierten Kanzlei sind wir in der Lage, Ihnen interdisziplinäre Rechtsberatung anbieten zu können. Bei Fragen zur Anfechtbarkeit von ehevertraglichen Vereinbarungen stehen Ihnen unsere auf das Insolvenz- und Familienrecht spezialisierten Anwälte kompetent zur Verfügung.

 

Rechtsanwalt Manuel Ast


Insolvenzrecht – BGH zum Umfang der Insolvenzmasse – Pflegegeld unterliegt nicht der Pfändung

Insolvenzrecht – BGH zum Umfang der Insolvenzmasse – Pflegegeld unterliegt nicht der Pfändung

Eine Mutter, die für ihren pflegebedürftigen Sohn Pflegegeld erhält, darf dieses auch während eines laufenden Insolvenzverfahrens behalten. Es unterliegt nicht der Pfändung, entschied der BGH mit Beschluss vom 20.10.2022 – IX ZB 12/22.

In dem vom BGH zu entscheidenden Fall ging es um eine Frau, die zu Hause für ihren autistischen Sohn sorgt. Der Insolvenzverwalter hatte beantragt, bei der Berechnung ihres pfändbaren Arbeitseinkommens, das Pflegegeld mit zu berücksichtigen. Die zuständigen Gerichte in Oldenburg lehnten dies ab.

Hieran orientierte sich auch der BGH. So sei das Pflegegeld dazu gedacht, die Autonomie des Pflegebedürftigen zu stärken und einen Anreiz für häusliche Pflege zu schaffen, so der BGH. Der Gesetzgeber habe es nicht als Entgelt konzipiert.

Mit dem Pflegegeld wolle der Pflegebedürftige die Person, die ihn pflegt, für ihren Einsatz belohnen, nicht aber deren Gläubiger befriedigen oder in anderer Weise begünstigen, entschieden die Karlsruher Richter. Dieses Interesse sei rechtlich schutzwürdig. Hinter dem Pflegegeld steht der Gedanke, dass Pflegebedürftige selbst entscheiden können sollen, wie von und von wem sie gepflegt werden. Also bekommen sie auch dann Unterstützung, wenn sie sich gegen einen ambulanten Pflegedienst entscheiden und von Angehörigen, Freunden oder ehrenamtlich Tätigen versorgt werden.

Je nach Grad der Pflegebedürftigkeit können Pflegende zwischen € 316,00 und € 901,00 im Monat erhalten.

Familiäre, nachbarschaftliche und ehrenamtliche Pflege solle grundsätzlich unentgeltlich sein. Das Pflegegeld ermögliche es dem Pflegebedürftigen aber, der pflegenden Person eine materielle Anerkennung für Einsatz- und Opferbereitschaft zukommen zu lassen. Er könne das Geld auch anders verwenden, die Leistung sei freiwillig.

In unserer auf das Insolvenzrecht spezialisierten Kanzlei stehen wir Ihnen mit unserer langjährigen Erfahrung bei sämtlichen Fragestellungen des Insolvenzrechts kompetent zur Seite.

 

Rechtsanwalt Manuel Ast