Insolvenzrecht – Schadensersatzpflicht des Rechtsberaters im Insolvenzverfahren

„1.
Die Einbeziehung eines Dritten in den Schutzbereich des zwischen Rechtsberater und Mandant geschlossenen Mandatsvertrags ist nicht allein deshalb ausgeschlossen, weil dem Berater im Verhältnis zum Mandanten nur eine Schutz- oder Fürsorgepflichtverletzung zur Last fällt.

2.
Die Hinweis- und Warnpflicht des Rechtsberaters bei möglichem Insolvenzgrund kann Drittschutz für den Geschäftsleiter der juristischen Person oder Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit entfalten; Voraussetzung ist ein Näheverhältnis zu der nach dem Mandatsvertrag geschuldeten Hauptleistung.

3.
In den Schutzbereich des Vertrags bei Verletzung der Hinweis- und Warnpflicht bei möglichem Insolvenzgrund kann auch ein faktischer Geschäftsleiter einbezogen sein.“

 

Hintergrund

Der BGH entschied in einem Fall, in welchem die Klägerin die Beklagte als Haftpflichtversicherer eines in insolvenzgefallenen Rechtsanwalts in Anspruch nimmt. Sie macht geltend, ihr stünden Schadensersatzansprüche aus abgetretenem Recht gegen den versicherten Rechtsanwalt zu, da dieser Hinweis- und Warnpflichten verletzt habe.

Zedenten des abgetretenen Schadensersatzanspruchs sind M und J. M Senior war bis Ende 2009 Geschäftsführer der persönlich haftenden Gesellschafterin der M GmbH & Co. KG. Danach wurde sein Sohn J Junior, Geschäftsführer. Die Klägerin behauptet, M Senior sei weiterhin faktisch als Geschäftsführer tätig gewesen. Die KG beauftragte den Rechtsanwalt ab Juli 2009 wiederholt mit ihrer Beratung. Auf Antrag vom 04.06.2012 wurde am 01.08.2012 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der KG eröffnet. Der Insolvenzverwalter nahm M und J wegen verbotener Zahlungen nach Insolvenzreife in Anspruch. Diese verpflichteten sich im Wege eines Vergleichs als Gesamtschuldner zu einer Zahlung in Höhe von 85.000,00 €. Die Zahlung wurde geleistet.

In Höhe dieses Betrags verlangt die Klägerin von dem beklagten Haftpflichtversicherer Schadensersatz. Sie meint, der Rechtsanwalt habe seine Beratungspflichten im Blick auf eine bestehende Insolvenzreife der KG verletzt; M und J sind als formaler und faktischer Geschäftsführer in den Schutzbereich der mit der KG geschlossenen Mandatsverträge einbezogen gewesen. Auf dieser Grundlage begehrt die Klägerin zudem Ersatz von Rechtsanwaltskosten in Höhe von 11.766,66 €, die M und J in der rechtlichen Auseinandersetzung mit dem Insolvenzverwalter über den geltend gemachten Anspruch wegen Zahlungen nach Insolvenzreife entstanden sind.

Landgericht gibt Klage statt

Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 96.766,66 € stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin den Anspruch weiter.

BGH – Klägerin hat Anspruch auf Schadensersatz

Nach Auffassung des BGH hat das Berufungsgericht sich nach Beweisaufnahme nicht davon überzeugen können, dass der Rechtsanwalt im Sinne einer Hauptpflicht gehalten gewesen sei, auf einen möglichen Insolvenzgrund und die daran anknüpfenden Handlungspflichten der organschaftlichen Vertreter der KG hinzuweisen. Ob eine entsprechende Nebenpflicht bestanden habe, hat das Berufungsgericht offengelassen. Insoweit fehle es an einer Einbeziehung der Vertreter in den Schutzbereich des zwischen dem Rechtsanwalt und der KG geschlossenen Mandatsverträge. Bestünden bloß nebenvertragliche Hinweis- und Warnpflichten, etwa wenn sich im Zusammenhang mit der anwaltlichen Tätigkeit als Punkte für die Gefahr einer Insolvenz des Mandanten ergeben, führe es zu weit, den organschaftlichen Vertreter in den haftungsrechtlich relevanten Schutzbereich des Vertrags zwischen der Gesellschaft und dem Rechtsanwalt auch hinsichtlich der Verletzung solcher bloß nebenvertraglichen Pflichten einzubeziehen. Dem folgt der BGH nicht.

Die Einbeziehung eines Dritten in den Schutzbereich des zwischen Rechtsberater und Mandant geschlossenen Beratungsvertrages ist nicht allein deshalb ausgeschlossen, weil dem Berater im Verhältnis zum Mandanten nur eine Schutz- oder Fürsorgepflichtverletzung (§ 241 Abs. 2 BGB) zur Last fällt.

Vor diesem Hintergrund kann offenbleiben, ob es revisionsrechtlicher Prüfung standhält, dass sich das Berufungsgericht nicht hat von einer Haftpflicht des Rechtsanwalts überzeugen können, auf eine mögliche Insolvenzreife der KG und die daran anknüpfenden Handlungspflichten hinzuweisen. Die Einbeziehung eines Dritten in den Schutzbereich eines Vertrags kommt auch dann in Betracht, wenn der Vertragsschuldner nur eine Schutz- oder Fürsorgepflicht verletzt hat. Auch die Hinweis- und Warnpflicht des Rechtsberaters bei möglichem Insolvenzgrund kann Drittschutz entfalten. Die Insolvenzantragspflicht begründet Handlungspflichten für den Geschäftsleiter; missachtet er die Antragspflicht, drohen ihm persönlich Haftungsfolgen. Die Haftungsfolgen sind im Fremdinteresse angeordnet, nicht aber im Interesse des Mandanten. Es handelt sich materiell um eine Haftung im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger der insolvenzreifen Gesellschaft, um die verteilungsfähige Vermögensmasse zu erhalten und eine zum Nachteil der Gesamtheit der Gläubiger gehende, bevorzugte Befriedigung einzelner Gläubiger zu verhindern.

Die Insolvenzantragspflicht und die Haftung im Fremdinteresse, welche den Drittschutz begründen, sind der maßgebliche Unterschied zu der Fallgestaltung, in der die Beratung für Entscheidungen des Mandanten Gegenstand des Mandatsvertrags ist und für den Vertreter die Gefahr besteht, auf der Grundlage der Beratung seinerseits seine gegenüber dem Mandanten bestehenden Pflichten zu verletzen. Verhält es sich so, scheiden Schutzwirkungen des Mandatsvertrags zugunsten des Vertreters im Allgemeinen aus. Die Hinweis- und Warnpflicht bei möglichem Insolvenzgrund greift nur unter engen Voraussetzungen ein. Geschuldet sind Hinweis oder Warnung erst, wenn dem Berater der mögliche Insolvenzgrund bekannt wird, dieser führend offenkundig ist oder der Insolvenzgrund sich ihm bei ordnungsgemäßer Bearbeitung des Mandats aufdrängt. Die bloße Erkennbarkeit reicht nicht aus. Ferner muss der Berater Grund zur Annahme haben, dass sich der Geschäftsleiter nicht über den möglichen Insolvenzgrund und die daraus folgenden Handlungspflichten bewusst ist. Die Hinweis- und Warnpflicht erfordert keine eigenständige Prüfung oder Ermittlung des Insolvenzgrundes.

In unserer auf das Insolvenz- und Gesellschaftsrecht spezialisierten Kanzlei stehen wir Ihnen bei der Geltendmachung und Durchsetzung von Schadensersatzverpflichtungen eines Rechtsberaters im Insolvenzverfahren kompetent zur Verfügung.

 

Rechtsanwalt Manuel Ast