Insolvenzanfechtungsrecht – BGH: Konkretisierung der „Neujustierung“ bei der Vorsatzanfechtung

Bei der Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO hat der BGH nun aktuell seine bisherige Rechtsprechung geändert. Die neue Entscheidung erschwert den Insolvenzverwaltern die Anfechtung insbesondere gegenüber Lieferanten und Dienstleistern, die keine detaillierten Einblicke in die wirtschaftliche Situation des
BGH, Urteil vom 10.02.2022 – IX ZR 148/19

Sachverhalt

Die klagende Insolvenzverwalterin einer Spedition macht gegen die Beklagte die Anfechtbarkeit von insgesamt 36 Zahlungen auf Vergütungsansprüche für Transportleistungen nach § 133 Abs. 1 InsO im Zeitraum April 2014 bis September 2015 geltend. Der Insolvenzeröffnung lag ein am 31.07.2015 gestellter Insolvenzantrag zugrunde. Bereits Anfang des Jahres 2013 hatten einige öffentlich-rechtliche Gläubiger vergebens versucht zu vollstrecken und Insolvenzantrag gestellt, die nach Zahlungen Dritter für erledigt erklärt wurden. Gegenüber dem Finanzamt hat die Schuldnerin ihre Zahlungsunfähigkeit eingeräumt. Der Beklagten, die seit Jahren eine Geschäftsbeziehung zur Schuldnerin hatte, waren diese Umstände nicht bekannt. Sie kannte nur das im Wesentlichen seit Jahren gleichbleibend schleppende Zahlungsverhalten und ihre teils vergebenen Mahnungen, in denen gerichtliche Mahnverfahren oder rechtliche Schritte in Aussicht gestellt wurden. Die Berufung gegen das bezüglich der Hauptforderung stattgebende Urteil des Landgerichts wurde durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Die vom Senat daraufhin zugelassene Revision war erfolgreich und führte zur Klageabweisung.

BGH – Einblick in wirtschaftliche Situation maßgeblich

Der BGH stellt zunächst fest, dass sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts eine Anfechtbarkeit nur aus § 133 Abs. 1 InsO in der bis zum 04.04.2017 geltenden Fassung ergeben könne. Der dafür erforderliche Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners und die Kenntnis des Anfechtungsgegners könnten als subjektive innere Tatsachen in aller Regel nur aus Hilfstatsachen hergeleitet werden. Der Tatrichter habe dabei die jeweilige BGH-Rechtsprechung zu den Beweisanzeichen zu berücksichtigen, wobei im Falle der kongruenten Deckung die von den Beteiligten erkannte Zahlungsunfähigkeit für den Vollbeweis nicht mehr genüge und zusätzlich eine aus Schuldnersicht negative Perspektive erforderlich sei. Die erkannte Zahlungsunfähigkeit zum nach § 140 InsO maßgeblichen Zeitpunkt sei Voraussetzung für ein in die Gesamtwürdigung einzubeziehendes Beweisanzeichen. Zwar hat das Berufungsgericht von einer ursprünglichen Zahlungseinstellung im Zusammenhang mit den rückständigen öffentlich-rechtlichen Forderungen, den Vollstreckungsmaßnahmen an den eigenen Erklärungen der Schuldnerin ausgehen können. Diese wirke nach der Senatsrechtsprechung grundsätzlich fort, wobei die Fortdauer Vermutung in Stärke und Dauer vom Ausmaß der Zahlungsunfähigkeit abhängig sei.

Zwar habe grundsätzlich der Anfechtungsgegner die allgemeine Wiederaufnahme der Zahlungen darzulegen und nachzuweisen. Der dafür erforderliche Vortrag sei aber durch eine sekundäre Darlegungslast des Verwalters beschränkt. Für das Auslösen dieser sekundären Darlegungslast sei es erforderlich, dass ein vom Anfechtungsgegner darzulegender Umstand bestehe, der eine Wiederaufnahme der Zahlungen im Allgemeinen als möglich erscheinen lasse. Dies sei anzunehmen, wenn die zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit herangezogenen Verbindlichkeiten nicht mehr bestehen und die Kenntnis vom Zahlungsverhalten im Übrigen fehlt. Dem Verwalter obliege dann zum Zahlungsverhalten im entsprechenden Zeitraum vorzutragen, um der Beklagten in die Lage zu versetzen die Fortdauervermutung zu entkräften. Mit Wegfall der öffentlich-rechtlichen Forderungen durch Durchtrittzahlungen und Erledigungen der Insolvenzanträge sei die Klägerin gehalten gewesen, zum Umfang nicht bedienter Verbindlichkeiten gegenüber anderen Gläubigern in diesem Zeitpunkt vorzutragen.

Dem dauerhaft schleppenden, aber im Wesentlichen gleich bleibenden Zahlungsverhalten gegenüber der Beklagten lasse sich im Rahmen der Gesamtumstände keine Zahlungseinstellung zum Zeitpunkt der angefochtenen Zahlungen herleiten, nachdem dies bereits für einen Zeitraum in dem der Schuldner seine Zahlungen nicht eingestellt hatte. Von einer Kenntnis der Beklagten von einem Gläubigerbenachteiligungsvorsatz könne auch unter Berücksichtigung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO in der alten Fassung nicht ausgegangen werden. Die Annahme einer drohenden Zahlungsunfähigkeit erfordere eine in die Zukunft gerichtete Prognose zur Finanzlage. Kenne der Anfechtungsgegner nur das Zahlungsverhalten des Schuldners ihm gegenüber, fehle es regelmäßig an den für die Prognose notwendigen Kenntnissen, die zur Beurteilung der drohenden Zahlungsunfähigkeit erforderlich sind.

Fazit

Die Entscheidung zeigt, dass der BGH bei der Beweiswürdigung im Rahmen des § 286 ZPO bei kongruenten Deckungen einen weniger starren Blick anwendet und die Entwicklung der konkreten Gesamtumstände mit Bezug zur Liquiditätslage in den Vordergrund rückt. Insolvenzverwalter werden daher aufgrund der sekundären Darlegungslast künftig den Vortrag zur Liquiditätssituation auf den Zeitraum nach einer nachweislich eingetretenen Zahlungsunfähigkeit erweitern und vertiefen müssen. Mit diesem Urteil erhöhte der BGH die Hürden für die Vorsatzanfechtung gegenüber Lieferanten und Dienstleistern erheblich.

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Rechtsanwalt Manuel Ast